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Traumreise: Die Chakren und das Geschenk deines Lehrers
Von Satya Singh
Du spazierst durch eine graue, staubige Halbwüste. Kaum etwas, an dem das Auge hängen bleibt, nur karge, stachelige Pflanzen. Es ist stickig, staubig und heiß.
Am Horizont ein Punkt, ein weit entfernter einsamer Berg. Du ahnst dort viele Farben und Lebendigkeit. In dem Moment, in dem Du dir des Berges bewusst wirst, weißt Du auch: Da musst Du hin, es gibt dort etwas Wichtiges für Dich.
Zielstrebig gehst Du durch die Wüste in seine Richtung, stundenlang.
Endlich der Fuß des Berges. Schon dieser Fuß bietet einen großen Kontrast zu der Wüste. Feiner, vulkanischer Sand mit kleinen Steinchen, rötlich, die Farbe belebt das Auge. Der feine, staubige Sand bleibt an deinen verschwitzten Beinen hängen. Je höher Du kommst, desto dichter wird die Sandschicht an deinen Beinen, deren Farbe belebend, kräftigend ist. Du fühlst Dich schon hier ein bisschen angekommen, und das Zentrum zwischen deinen Beinen auf Deinem Damm beginnt leicht zu vibrieren.
Du steigst immer höher, hier ist es schon etwas kühler, nicht mehr so stickig, und die Luft ist feuchter. Hier gibt es eine ganz andere Vegetation als in der Wüste: Kleine Pflanzen mit orangen Blüten. Die Schönheit dieser Pflanzen, ihre Farbe, tut dir unbeschreiblich gut nach der langen Reise durch die Wüste. Du freust Dich wie ein Kind. Je höher Du kommst, desto üppiger und größer werden diese Pflanzen, bis Du schließlich bis zu deinen Hüften in einem Meer orangefarbener Blüten wanderst, ganz entzückt von der Schönheit, Frische, Lebenskraft, die Du hier spürst. Die Pflanzen streichen an deinen Beinen, Deinem Becken entlang, und das Zentrum auf der Mitte deines Schambeins fängt an zu vibrieren.
Dann hörst Du plötzlich Wasser plätschern, ganz leise und weit entfernt. Du schaust nach oben und um Dich herum nach der Quelle dieses Geräusches, und Du sieht über dir den Rand eines Plateaus, er ist aus einem gelben Granit. Und dort fallen immer wieder Tropfen über den Rand. Du fühlst Dich von dieser Stelle magisch angezogen. Du suchst einen Weg, um dort hochzuklettern. Schließlich hast Du einen nicht allzu schweren gefunden, steigst höher und höher und kommst schließlich über den Rand des Plateaus. Dort siehst Du ein kleines Rinnsal, das vom Berg hinabplätschert, und im Schatten des Berges haben sich in Kuhlen Wasserpfützen gebildet. Eine dieser Kuhlen ist so tief, dass Du Dich bis zum Nabel hineinsetzen kannst. Das Wasser ist angenehm und warm. Es wäscht alle Müdigkeit aus deinen Beinen, allen Staub von dir ab. Du bist erfrischt, und klarer als zuvor weißt Du, dass Du nicht nur mit Deinem ganzen Wesen den Gipfel des Berges erreichen möchtest, sondern dass Du auch die Kraft dazu hast. Und schließlich löst Du Dich aus dieser natürlichen Badewanne, nimmst noch einmal das frische Gelb in Dich auf, und Du spürst, wie das Zentrum unter Deinem Nabel zu vibrieren beginnt. Und Du entscheidest Dich, dem Rinnsal nach oben zu folgen.
Je höher Du kommst, desto mehr Wasser gibt es, und desto mehr Bäume und Sträucher sind um das Rinnsal herum, das sich schließlich in einen Bach verwandelt. Die Landschaft wird zu einem kleinen Wald. Darin zu sein, berührt Dich tief: All die Grünschattierungen des Waldes, der Duft und die Geräusche der Vögel. All die Blätter um Dich herum. Du liebst es, hier in diesem Wald zu sein, Deine Brust weitet sich. Du spürst, wie das Zentrum auf der Mitte deines Brustbeines anfängt zu vibrieren, während Du den Duft des Waldes tief in Dich aufnimmst. In diesem Wald steigst Du höher und höher, bis schließlich der hellblaue Himmel durch die Baumwipfel leuchtet. Du bist am Rand des Waldes angelangt.
Bald stehst Du vor einem tiefen Abgrund. Hier geht der Fels einige hundert Meter steil nach unten, und nur ein schmaler Grat führt noch weiter nach oben. Ohne zu zögern gehst Du auf diesen schmalen, nur meterbreiten Grat. An beiden Seiten geht es steil nach unten: Es ist, als ob Du durch den Himmel spazierst. Überall himmelblaue Luft um Dich herum, Du kannst meilenweit blicken und siehst die Weite der Erde unter dir liegen. Du fühlst Dich mit allem sehr verbunden, während Du vorsichtig weiter nach oben balancierst. Du atmest tief durch, und Du hörst den Wind. Das Zentrum unter dem Kehlkopf fängt an zu vibrieren.
Schließlich bist Du an der anderen Seite angekommen, an der es weiter hoch geht. Es hat inzwischen begonnen, dunkel zu werden. Es wird Nacht, die Farben verändern sich, der Himmel wird dunkelblau, erste Sterne werden sichtbar. Du kannst deinen Pfad nach oben kaum noch sehen, schon bald gar nicht mehr. Du musst auf Dein Gespür vertrauen, um überhaupt noch weiterzukommen und deinen Weg zwischen riesigen Felsbrocken zu finden. Du blickst in den Himmel und siehst die Sterne, und in ihrem Licht findest Du deinen weiteren Weg. Und das Zentrum zwischen deinen Augenbrauen beginnt zu vibrieren.
Schließlich kommst Du an den Gipfel. Es ist ein flaches Plateau, ungefähr zwanzig Meter im Durchmesser, der höchste Punkt weit und breit. Überall um Dich herum nur samtene Dunkelheit und strahlende Sterne. Und der Vollmond, der groß und weiß über allem schwebt. In der Mitte des Plateaus ist ein halbrunder Tempel, eine wunderschöne Form, aus Alabaster, durchscheinend. Überall in diesem Alabaster sind Amethysten eingelegt, sodass der Tempel violett zu leuchten scheint. Sobald Du den Tempel siehst, weißt Du: Das ist der Platz, den Du gesucht hast, den Du brauchst.
Du gehst in diesen Tempel hinein. Vorher reinigst Du Deine Füße von Staub, und Du betrittst den Tempel barfuss, Dich verneigend, der Eingang ist sehr niedrig. Und nun stehst Du in dieser wunderschönen halbrunden Form auf dem Holzfußboden. In der Mitte brennen Kerzen, und auf einem Meditationskissen sitzt eine Gestalt – Du weißt, es ist Dein Lehrer oder Deine Lehrerin – mit einer Kapuze über dem Kopf. Gegenüber dieser Gestalt liegt ein weiteres Meditationskissen, und Du weißt, was Du zu tun hast: Du setzt Dich ihr oder ihm gegenüber. Und vertrauensvoll schaust Du ihr oder ihm in die Augen.
Was siehst Du? Ist es eine Frau, ein Mann, ein Kind? Ein Tier? Gar ein Fels? Je länger Du ihr oder ihm in die Augen siehst, desto sicherer weißt Du: Du kannst dieser Person jede Frage stelle, die Dich beschäftigt. Du wählst die wichtigste Frage aus, die jetzt dir aufsteigt. Die wichtigste Frage, die Dich in diesem Lebensabschnitt beschäftigt.
Du stellst Deine Frage.
Die Gestalt lächelt, antwortet nicht. Aber nach einer Weile holt er oder sie aus dem Ärmel ein eingepacktes Geschenk und gibt es dir. Das ist die Antwort auf Deine Frage, Du weißt es. Du packst es aber nicht sofort aus, sondern für einen Moment wiegst und bewegst Du es in deinen Händen, spürst, was für eine Form, was für ein Gewicht es hat. Du schließt die Augen und meditierst auf diesem Geschenk.
Du öffnest die Augen, und die Gestalt, die dir gegenüber gesessen hat, ist verschwunden. Aber das Geschenk ist noch immer da.
Jetzt pack es aus. Schau, was darin ist. Und was es bedeutet.
Nun nimm Dein Geschenk mit.
Atme tief ein …